Navigation ausblenden

Damit das Boot nicht kippt


Moritz Leuenberger - 125 Jahre Fischereiverband, Jubiläumsansprache, Interlaken, 17. Mai 2008

Ich danke Ihnen, dass ich die Ehre habe, zu Ihnen zu kommen. Es zeigen sich ja vor allem die ganz Mächtigen und Einflussreichen als Fischer:
Putin, Bush und Polo Hofer.
Wer nicht aktiv fischt, ist als Politiker ein kleiner Fisch. Er muss ausweichen auf seine eigenen Fischgründe und sich konzentrieren auf das fishing for compliments.Immerhin, auch ich gelangte ja nur dank meiner Fischereiaktivitäten in den Bundesrat.
Ich war vorher Fichenjäger im Fichenskandal.
Und auch im Bundesrat benutze ich Fischereiwerkzeug, nicht gerade Hacken und Ösen, das Ja zur NEAT angelte ich mit der Netzvariante.
Die Politik und die Fischerei haben in der Tat vieles gemeinsam: In der Politik gibt es tolle Hechte und arme Röteli, die hilflos in den Netzen der Medien zappeln. Es gibt stolze Karpfen und schleimige Exemplare ohne Rückgrat: Wollen wir sie auf etwas behaften, flutschen sie uns aus der Hand. Es gibt Haifischtümpel, in denen artfremde Abweichler gnadenlos verfolgt werden. Dort kennt man Ihren Ehrenkodex nicht, und schont nicht einmal Jungfischinnen aus dem Bündnerland.

 

Die Fischer als Schweizer Staatsbürger

Doch unsere Verbindungen erschöpfen sich nicht in Wortspielereien an der Wasseroberfläche, sondern gründen in tieferen Wassern. Viel eindrücklicher sind die wirklich politischen Verbindungen zwischen Ihrer Tätigkeit und der Bundespolitik.

Wenn es politisch notwendig ist, rücken Sie zusammen, treten an und engagieren sich als Bürgerinnen und Bürger für Ihre Anliegen.

Sie bleiben nicht stumm wie ein Fisch, denn Sie wissen: Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. Lebendige Fische springen, wie in Ihrem Logo, fröhlich von rechts nach links über das Schweizerkreuz.

Die ganze 125-jährige Geschichte Ihres Verbandes zeugt von Ihrem unentwegten staatsbürgerlichen Einsatz, von Kursen über Gewässerschutz und Gewässerpflege und vor allem über Petitionen, Resolutionen und Initiativen. Und Sie können dabei auf wichtige Erfolge zurückblicken:

  • Im Jahr 1984 haben Sie die Volks­initiative "Zur Rettung unserer Gewässer" eingereicht und damit das Gewässerschutzgesetz von 1991 wesentlich beeinflusst. Sie sind daher wesentlich mitverantwortlich, dass wir heute keine Ausschläge mehr riskieren, wenn wir in unsere Seen und Flüsse springen.
  • Sie haben 2006 die Renaturierungsinitiative lanciert, weil das sauberste Wasser nichts nützt, wenn Fischen die natürlichen Ufer zum Laichen fehlen. Diese Initiative wird gegenwärtig im Parlament beraten. Vor zwei Wochen wurde die Vernehmlassung zu einem Gegenentwurf eröffnet. Die Initiative wird sehr ernst genommen. Schon im Bundesrat wurde ausdrücklich gesagt: Sie hat grosse Erfolgschancen, und zwar einfach darum, weil die Fischer hinter ihr stehen.
  • Sie waren sodann wesentlich daran beteiligt, dass der Bund und der Kanton Bern die Verweiblichung der Felchen im Thunersee wissenschaftlich untersuchte und nicht im Schlick versinken liess wie die alten Munitionsrückstände. Heute käme es wohl niemandem mehr in den Sinn, 3000 Tonnen überflüssige Munitionen einfach in einen See zu versenken (darunter eine halbe Tonne hochgiftiges TNT).

Doch nach heutigen Erkenntnissen scheint es keinen Zusammenhang zwischen dieser Munitions-Deponie auf dem Seegrund und den Gonaden-Veränderungen an den Felchen zu geben. Die Schweizer Armee hat sich ja schon immer dagegen verwahrt, dass ihre Munition zu einer Verweiblichung führe. Gemäss eben publizierter Ergebnisse eines Nationalen Forschungsprogramm sollen es auch nicht „hormonaktive Substanzen" sein, die für diese Geschlechtsumwandlungen verantwortlich sind. Wir fischen also weiterhin im Trüben.

  • Der Austritt von Schadstoff aus einer Deponie bei Freiburg wäre ohne Fischer wohl still bewältigt worden. Jetzt hat er zu einem Fischereiverbot in einem Abschnitt der Saane geführt. Es waren die Fischer, welche hier für Transparenz sorgten und darauf aufmerksam machten, dass Gifte in unseren Gewässern - wie das dioxinhaltige PCB - am Ende auf unseren Tellern landen bzw. in unseren Bäuchen - mit gelegentlichen Ablagen in den Köpfen, nur merkt das niemand mehr.
  • Es waren auch die Fischer, welche die notwendige Diskussion um den Kormoran in Gang brachten. Der Vogel ist den Fischern ein aggressiver Konkurrent, der mit den Mitteln des Dumpings arbeitet. Dumping heisst ja tauchen. Der Kormoran taucht nicht nur nach den Fischen, seine Konkurrenzmethoden sind auch sonst unfair.

Er erwirbt kein Fischerpatent, er beachtet keine Schonzeiten und er kenn überhaupt kein Mass. Er frisst einfach gierig drauflos. Darum möchten viele diesen schrägen Vogel ganz und gar ausrotten.

Der Kormoran und das ökologische Gleichgewicht

Aber es gibt Leute, die sehen das anders. Das zeigen die Stapel von Briefen von überzeugten Kormoranfreunden, die täglich auf meinem Schreibtisch landen.

Sie sehen in ihm einen Paradiesvogel und wollen ihn schützen und so lese ich dann etwa in einem Bürgerbrief: „Schützen Sie doch bitte diesen  ästhetischen Verwandten des Pelikan mit seinen schönen grünen Augen!"

(Interessanterweise stossen immigrierende Vögel in unserem Land, also schwarze Schwäne oder Kormorane, auf grösseres Verständnis als etwa schwarze Schafe.)

Wer sich allein durch die schönen grünen Augen eines einzelnen Kormorans betören lässt, hat eine etwas einfarbige Sichtweise. Er übersieht die Gesamtzusammenhänge. Das Farbenspektrum der Nachhaltigkeit umfasst nicht nur grün.

Umgekehrt ist der Kormoran aber auch nicht einfach unser aller Feind. Unabhängig von seinem Nutzen oder Schaden hat er eine Daseinsberechtigung. Das gleiche gilt für seine Verwandten: Den Graureiher und den Gänsesäger. Das hat ja auch Ihr Verband erkannt.

Über die Gründung 1883 hiess es noch, Sie hätten den Fischottern und Reihern „den Krieg" erklärt. Und der Gesetzgeber ist Ihnen gefolgt. 1888 stand in Art. 22 des neuen Bundesgesetzes:

„Die Ausrottung Fischottern, Fischreihern und anderen, der Fischerei schädlichen Tieren ist möglichst zu begünstigen."

Von Ausrottung spricht heute niemand mehr. Wie immer gehen Sie voran und fordern in Ihrem Ethikkodex völlig zu recht „einen tragbaren Bestand an Prädatoren".

Wir sind uns einig: Zu viele Kormorane gefährden das ökologische Gleichgewicht, weil sie die Fischbestände dezimieren. Wenn dieses Gleichgewicht aus den Fugen gerät, muss es der Mensch wieder herstellen. Deswegen haben wir Massnahmen, wie Sie sie anregten, aufgenommen und gehandelt.

Wir wollen das Gleichgewicht wieder herstellen. Es ist meistens nicht der Kormoran, der Luchs, der Wolf oder der Bär, der das Gleichgewicht durcheinander bringt, sondern der Mensch.

Seit der Mensch in prähistorischen Zeiten die Mammutjagd aufnahm und die ersten Angelhaken aus Bärenknochen in den Fluss auswarf, begann er das natürliche Gleichgewicht dieses Planeten zu verändern.

Es blieb dabei nicht beim Angelhaken.

Der Mensch erfand auch den Benzinmotor und er verschleudert CO2 und das führt zur Klimaerwärmung und die wiederum ist schuld an den vielen Kormoranen.

Der Grund nämlich, dass es dem Kormoran in unseren Breitengraden unterdessen so wohl ist, dass er sich den Flug in den warmen Süden sparen kann, ist der Klimawandel. Um das Gleichgewicht von natürlichem CO2 Ausstoss, den die Erde braucht, wieder herzustellen, wollen wir das CO2 reduzieren, damit das Klima wieder in ein Gleichgewicht kommt.

Das Boot balancieren, in dem wir alle sitzen

Wer im Boot auf dem See fischt, muss die Balance halten, sonst fällt er ins Wasser. Um das Gleichgewicht zu halten, konzentrieren wir uns nicht auf das Boot und schauen verkrampft auf unsere Füsse, sondern wir heben den Blick zum Horizont und orientieren uns an ihm.

Nicht nur das Boot, auch der See braucht ein Gleichgewicht, um zu leben. Fischer kennen dieses Prinzip.

Ein guter Fischer liest die Natur und pflegt seine Fanggründe. Nicht alles was Schuppen oder Scheren hat, landet deshalb in der Bratpfanne. Denn wer seine Fanggründe ausbeutet, hat bald einmal nichts mehr zu fischen.

Fische sind nicht nur Beute, sondern ebenso Indikator für eine intakte Umwelt. Sie kennen diese Zusammenhänge und haben sich deshalb bereits nachhaltig verhalten, als es dieses Wort noch gar nicht gab. In Ihrem Ethikkodex nennen Sie als aller erste Maxime „die Erhaltung ausgewogener Gewässerökosysteme".

Fischer haben über Jahrhunderte feine Antennen für Veränderungen in der Natur entwickelt. In ihrem Kielwasser wurde der Begriff der Nachhaltigkeit geboren, zu der Sie sich ausdrücklich bekennen.

Nachhaltiges Handeln bedeutet in Ihrem Metier, ich zitiere wieder aus Ihrem Kodex, „gesunde und artenreiche Bestände zu erhalten und zu pflegen", das heisst, seine Fanggründe so zu pflegen, dass künftige Generationen auch noch etwas zu fischen haben.

Die Menschen greifen alle mit ihren unterschiedlichen Interessen in die Natur ein: Fischer, Wassersportler, Chemiker, Vogelschützer, Politiker, Industrielle und Forscher.

Wie schaffen wir den Ausgleich zwischen dem Schutz von Menschen, die am See ihre Ruhe und Erholung suchen und der legitimen Nutzung des Wassers für touristische und wirtschaftliche Zwecke?

Das ist oft eine schwierige Abwägung von Interessenkonflikten. Ein Beispiel einer solchen Abwägung verschiedener Interessen sind die Wassertöffs. Als der Bundesrat das Cassis de Dijon Prinzip beschloss, ging es ihm um den Schutz der Konsumenten. Dabei dachte kein Mensch an die Wassertöffs. Für mich ist heute jedoch völlig klar: Diese Vehikel gehören nicht auf unsere Gewässer.

Ich werde daher dem Bundesrat den Antrag stellen, dass diese nicht importiert werden dürfen. Oder die Kantone erlassen überall Verbote.

Nachhaltigkeit endet nie bei den eigenen Fisch- und Jagdgründen. Dass in öffentlichen und privaten Gewässern dieselben Regeln gelten müssen, hat schon das Zürcher Verwaltungsgericht festgestellt, und zwar mit folgendem Satz:

„Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Fisch vom öffentlichen in ein privates Gewässer schwimmt mit der Absicht, wieder in das öffentliche Gewässer zurückzuschwimmen."

Dafür gäbe es auch eine ökologische Begründung. Der Bach und der See sind Teil eines flüssigen Gleichgewichts, das 4/5 dieser Erde bedeckt. Und dieses weltumspannende Wassersystem, ist wiederum Teil des gesamten ökologischen Gleichgewichts. Wenn der Meeresspiegel um Meter steigt, der Permafrost schmilzt und das Wasserschloss Europas sich leert, hat das auch Auswirkungen auf den Fischbestand in Aare oder Reuss.

Ein Ökosystem basiert nicht nur auf einem, sondern auf sehr vielen Gleichgewichten, also nicht nur das Wasser, sondern auch Luft, Wind, Fauna, Jahreszeiten. Das sind Kräfte, die gegeneinander wirken, so dass es zu einem Ausgleich kommt. Jede Ordnung lebt von dieser ständigen Spannung. Sie führt zu einem stetigen Ausgleich. Dieser Ausgleich ergibt eine Harmonie, die garantiert, dass das System erhalten bleibt. Deshalb ist der Spielraum jeder einzelnen Kraft durch die Ordnung des ganzen Systems begrenzt.

Überschreitet eine einzelne Kraft dieses Mass, sprengt sie die ordnende Harmonie.

Das ist nicht nur eine ökologische Regel.

Haifische und das soziale Gleichgewicht

Gleichgewicht, Proportionen, Masse, das sind auch die Grundlagen der Architektur, der Ästhetik, der Kunst des Zusammenhaltes unserer Gesellschaft.

Das Mass prägt also nicht nur die Umweltpolitik, sondern auch wirtschaftliche und soziale Ordnungen. Auch dort gibt es Prädatoren, Haie und Parasiten.

Sie zurück zu binden und den Ausgleich zu suchen, ist die Kernaufgabe jeder Politik, die mehr ist als nur die Wahrung der eigenen Interessen, einer Politik, welche weltweite Stabilität anstrebt.

Ein all zu grosses Gefälle zwischen arm und reich gefährdet den Zusammenhalt. Das gilt im Innern des Landes. Eine Abgangsentschädigung von 22 Mio bei einem Verlust von 40 Milliarden erscheint doch manchen bei uns als eine Masslosigkeit.

Auch weltweit führt Unverhältnismässigkeit zu Konflikten und Revolten. Wenn wir es genauer analysieren, sehen wir, dass Kriege und Flüchtlingsströme letztlich immer die Folge ökonomischer und sozialer Ungleichheiten sind, auch wenn sie mit religiösen Differenzen begründet werden. Deshalb braucht auch der Mensch ein Mass.

Die Fischer und die Weltpolitik

Im Märchen „Der Fischer und seine Frau" wird diese tiefe Weisheit mit der Fischerei in Zusammenhang gebracht. Der Fischer hat einen verwunschenen Prinzen an der Angel, der ihm zunächst aus seiner Not hilft. Doch mit den zunehmenden Wünschen verliert das Ehepaar Fischer jedes Mass und möchte am Schluss an Gottes Stelle thronen. Damit beschwört es einen zerstörenden Sturm herauf, der ihre ganze Existenz wieder völlig vernichtet, so dass sie wie zu Beginn in einem Topf wohnen.

Der Fischer versteckt sich bei seinen Masslosigkeiten etwas feige hinter seiner Frau Ilsebill. Ob Frau oder Mann oder Ehepaar, das Märchen symbolisiert die ganze Menschheit. Der Mensch darf sich gegenüber der Natur nicht alles herausnehmen, sonst geht er mit ihr unter.

Und so schliesst sich denn der Kreis wieder: Die Fischer verhalten sich deswegen seit Jahrhunderten nachhaltig, weil sie die Sensibilität der Seen kennen und wissen, dass masslose Nutzung zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen führt.

Davon kann die Politik lernen, wie auch Ihr Verband stets dazu gelernt hat.

Wie schreiben Sie doch im Kodex: „Der Angler erklärt sich bereit, sich mit neuen Entwicklungen auseinanderzusetzen und sich laufend weiterzubilden."

So wünschen wir uns denn, dass die grossen Fische dieser Welt nicht nur vor den Kameras in Sibirien und Texas fischen, sondern dass sie sich mit Ihrem Ethikkodex vertraut machen, um sich in die komplexe Welt des ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Gleichgewichts einleben und zwar nicht nur in der Freizeit beim angeln vor den Medien, sondern bei ihrer täglichen Arbeit in der Weltpolitik und dass sie so für Gleichgewicht sorgen,

damit der See nicht kippt,

damit die Umwelt nicht kippt,

damit das Boot, in dem wir alle sitzen, nicht kippt.

Sie können das lernen - bei den Schweizer Fischern.