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Abschied von Kurt Meier


Abschied von Kurt Meier

 

Zürich, 20. Juli 2024

Moritz Leuenberger

 

 

       drei mal mut

 

       es braucht 

       mut zum leben

       grossmut zum zusammenleben

       und übermut zum überleben

 

So stand auf Kurts Neujahrskarte 2023, kurz nach der Diagnose seiner Krankheit.

 

       Mut zum Leben

 

Vor 50 Jahren trat Kurt in das Anwaltsbüro an der Langstrasse ein.

 

Die spätere Praxisgemeinschaft von drei Pfarrersöhnen und einem Muslim legte Wert auf eine moralisch abgesicherte Ausübung des Anwaltsberufes. Welche Mandate dürfen angenommen werden, welche nicht? 

 

Im Vordergrund stand nicht die bedingungslose Identifikation mit den Anliegen der Klienten, sondern immer auch darin, die Hintergründe und Ursachen eines Unrechts zu orten und sie zu beseitigen.

-       So vertrat Kurt Patienten, die an der Bluterkrankheit litten. Durch Transfusionen mit infizierten Blutkonserven wurden sie mit HIV angesteckt. Das Rote Kreuz und Pharmafirmen haben nur zögerlich auf das tödliche Risiko ihrer Produkte reagiert und nicht offen kommuniziert. Die angesteckten Hämophilen konnten in der kurzen Zeit bis zu ihrem Tod keine finanzielle Hilfe mehr erwirken, weil das SRK die Verfahren prozessual verzögerte. 

Ich erinnere mich, wie Kurt vom Schicksal jedes einzelnen Klienten tief erschüttert war und wie er dann einen Fonds erwirkte, damit die Opfer sofort entschädigt wurden. Auch das SRK musste sich beteiligen. 

-              Kurt vertrat auch Asbestopfer. Sie wurden um ihre Rechte geprellt, weil die tödliche Krankheit erst nach der absoluten Verjährung ausbrach. Kurt drängte das zuständige Departement zu einem runden Tisch mit den Verantwortlichen für die Asbestproduktion und Vertretern der Opfer. Die Sitzungen des runden Tisches fanden in seiner Kanzlei an der Lutherstrasse statt. Dort wurde eine Stiftung mit allen Details für die Ansprüche der Opfer und eine neue Verjährungsfrist entworfen, wie sie dann von Bundesrat und Parlament übernommen wurden. 

-              Dabei erschien der Name von Kurt in der Öffentlichkeit so wenig wie in seinem Spezialgebiet, dem Arbeitsrecht. Bei vielen Skandalen und Auseinandersetzungen in Banken, Spitälern, Medien oder Universitäten, die wir in den Medien verfolgten, wirkte Kurt als Anwalt, ohne dass dies gegen aussen bekannt war.

-              Kurt war Leiter der Arche und Mitbegründer der «Kritischen», später «Demokratischen Juristen».

 

Vieles wurde in seiner Zeit verändert.

 

-              Es gilt unterdessen das Recht: „Kein Wort ohne meinen Anwalt.“ (Gab es     damals noch nicht, nur in amerikanischen Kriminalfilmen.) 

-              Es gibt eine Einsatzzentrale für Pflichtverteidiger. 

-              Es gibt Frauenhäuser. 

-              Es gibt ein Opferhilfegesetz und eine Opferhilfestelle. 

 

Dies alles ist nicht nur durch ihn und auch nicht alles nur durch Anwältinnen und Anwälte erreicht worden. Aber Manches wäre ohne den Imput und ohne die juristisch unterlegte Hartnäckigkeit von Kurt nicht geschaffen worden.

 

Seine Plädoyers und Rechtsschriften waren von einem sehr eigenen Stil geprägt: 

Fern von eingeschliffenen Floskeln, wie sie in der forensischen Fauna gepflegt werden, weckte er verblüffende Assoziationen, welche es Gerichten und sogar Gegenparteien ermöglichten, festgefahrene Positionen aufzugeben und eine neue Sicht auf die Dinge einzunehmen. 

Ein leichter, verspielter Stil, nicht verbissen, sondern mit einer gewissen Distanz, oft ironisch, aber immer liebevoll.

Ganz ähnlich seinem Stil, mit dem er sich auf den Skiern bewegte, beide Arme ausgebreitet in der Höhe, wie ein Seiltänzer mit scheinbarer Leichtigkeit über die buckligen Hindernisse im Hang schwebend und dennoch immer im Gleichgewicht und die Grundregeln der Schwerkraft beachtend. 

 

Diese spielerische Ader webte er in seine rechtliche Arbeit und wurde zu einem eigentlichen Wortkünstler. Das machte seinen Schalk aus, dem selbst Gegenparteien erlagen. 

 

-              Die Menschenrechtskonvention gelte im Grunde genommen auch für Pflanzen, brachte er gegenüber einer Behörde im Affoltern am Albis vor. Die Rekursinstanz war derart amüsiert, dass sie ihm tatsächlich recht gab. Vielleicht war das ja ein Vorläufer des Urteils aus Strassburg für die Klimaseniorinnen?

-              Bei der fristlosen Entlassung eines Angestellten der SBB formulierte er die Rechtsschrift in die Form eines Gedichtes. Und er bekam recht (nicht von der SBB, aber vom Gericht).

 

Mit der Zeit verselbständigte sich diese literarische Begabung zu seinen Gedichtbänden,  

die ersten dadaistisch und verspielt, später ernsthafter und tiefer, wohl auch im Hinblick auf das nahende Ende. 

 

 

       Grossmut zum Zusammenleben

 

Kurt unterstütze Heidi Schriber bei der Ausbildung zu ihrem Beruf als Apothekerin und beim Aufbau einer eigenen Apotheke. 

Zur Geburt der beiden Söhne schrieb er je ein Büchlein mit Kindergeschichten, der uns als Geburtsanzeige zusandte. 

 

In zweiter Ehe lebte Kurt mit Irene Forster und ihrer Tochter Martina zusammen im Haus in Zürich und der Wohnung in Valencia. Die beiden teilten ihre Freude an Kultur, Kochen und Essen und an Valencia mit vielen ihrer Freundinnen und Freunde.

So organisierten sie auch die traditionelle Reise des gesamten Zürcher Regierungsrates nach Valencia. 

Kurt lernte intensiv spanisch und vermochte auch dem Staccato valencianischer Diskussionen zu folgen und sich daran zu beteiligen. 

Im letzten Jahre bereute er es immer wieder, nicht mehr Zeit in Valencia verbracht und dazu seinen Anwaltsberuf nicht früher reduziert zu haben. 

Wir erahnen diese Sehnsucht und Liebe aus einem Gedicht. 

 

          Amanecer in Valencia - Sonnenaufgang in Valencia

 

           ich lieb es wenn es tagt in valencia

           im blauen licht zu erwachen

           mit tauben die lachen

           winde die vom meer her leise dämmern

           von der baustelle ein rufen und hämmern

           von der plaza ein tanzen und singen

           von frauen die der virgen tulpen bringen

           dann heult plötzlich eine sirene

           und endlich erwacht neben mir auch irene

 

                 Übermut zum Überleben

 

Vor einem Jahr die Diagnose ALS.

Seine Familie hat Kurt den Grossmut des Zusammenlebens erwidert und ist ihm bis zur Verwirklichung seines Entschlusses beigestanden.

 

Sämi und Severin unterstützen ihn, stiessen ihn im Rollstuhl durch das holprige Valencia, kochten ihm und besuchten ihn. Martina illustrierte und gestaltete mit ihm zwei Kinderbüchlein für seine beiden Enkelinnen. (Im Buch heisst die Libelle Luzia, das Häslein Paula, der Esel Moritz.)

Irene hat Kurt, der zunehmend an körperlicher Selbständigkeit verlor, schlussendlich rund um die Uhr geholfen, sie hat die Kontakte mit allen Bekannten während seiner Krankheit gepflegt und gefördert, hat Besuche organisiert, hat uns alle in den Abschied einbezogen und hat Kurt den schweren Gang durch die sich immer verschlimmernde Krankheit erleichtert. 

Sie organisierte

 

-              eine letzte Zusammenkunft mit dem grösseren Bekanntenkreis im Garten an der Rütistrasse anfangs Januar,

-              ein letzter Auftritt mit Lesung der Gedichte in der Lebewohlfabrik mit Marianne Racine und Bruno Spörri,

-              die allerletzten Einladungen von Freundinnen und Freunden, die noch zu Besuch kamen, um Abschied zu nehmen.

 

Kurt erlebte es als ein Privileg, und das mag auch uns ein Trost sein, dass er so viele Zuneigungen selbst erfahren durfte, die bei anderen erst die Angehörigen in Kondolenzschreiben erfahren. 

Auch als ein Privileg empfand er, dass sein Gedächtnis, sein Hirn bis ganz zum Schluss gesund und wach blieben, er also voll zurechnungsfähig über sich selber bestimmen konnte.   

 

Übermut zum Überleben zeigte Kurt bis am Schluss:

 

Bei der Besprechung des Ablaufs dieser Feier huschte plötzlich wieder diese listige Verschmitztheit über sein Gesicht, lachen ging nicht mehr, doch er artikulierte inmitten seiner und unserer Trauer, mühsam, aber fast glücklich über eine letzte Pointe:

 

   «Mit diesem Ablauf kann ich leben.» 

 

So haben wir Kurt erlebt und so lebt er in uns, in unserer Erinnerung.

 

          Ewiges Leben?

Kurt dazu in seinem Gedicht «Versteckspiel»:

 

            Das versprechen 

            vom ewigen leben 

            ist ein versprecher 

            korrekt ist 

            dass das leben 

            im ewigen 

            versteckt ist  

 

Wir danken Kurt für sein Zusammenleben mit uns.

Er wird überleben in uns.