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Franz Hohler - eine Einordnung


Zum 80. Geburtstag von

Franz Hohler – eine Einordnung

Stadtkirche Olten, 5. Mai 2023

Moritz Leuenberger

 

Wer ist Franz Hohler?

In den letzten zwei Monaten lasen wir und hörten wir sehr viele und sehr verschiedene Analysen über Franz Hohler und müssen sie nun irgendwie bündeln. 

Journalistinnen und Journalisten von SRF würden sagen: «Wir ordnen ein.»

So bezeichnen sie ihre Arbeit. 

Sie sagen uns, wer in welche Schublade gehört, sie ordnen das Weltgeschehen fein säuberlich ein, damit wir drauskommen.

 Die Welt einordnen, das geht ja noch. 

Aber Franz Hohler? Kann man ihn einordnen?

Wäre er Politiker, wäre es einfach. Die Einordnung in der Politik folgt an Geburtstagen, Rücktritten oder, wenn ein Präsident im Alter von Franz Hohler die Kandidatur für eine zweite Amtszeit bekanntgibt, 

strikt nach demselben Schema: Es wird unterschieden in 

-       (1) Die politische Person als Parteimitglied, 

-       (2) die politische Person als Regierungsmitglied und – davon strikte zu trennen - 

-       (3) die politische Person als Mensch. 

Aber die Jacke von Franz Hohler ist nicht so einfach gestrickt. 

Das zeigt schon nur ein Teil der Bezeichnungen, die ich in letzter Zeit über ihn gelesen habe. Ich zitiere:

  • Autor, Cellist, Kabarettist, aus Biel, 
  • Bühnenkünstler, politischer Performer, kommt von Olten,
  • Aktivist aus Oerlikon, 
  • Kinderbuchautor, Literarischer Allgemeinpraktiker, literarische Wühlmaus (NZZ),
  • Wanderer, Geschichtenerzähler in SAC-Hütten (Schweizer Wanderwege),
  • Prophet, Moralist. Vom Moralisten gibt es Untervarianten:
    • 1: Moralist ohne Moralismus,
    • 2: politischer Moralist,
    • 3: unser Schweizer Gewissen. 

Das ist ein üppiger Strauss von Attributen, den wir jetzt miteinander im Einzelnen durchgehen wollen.

  • Geographische Einordnung: Biel, Oerlikon oder Olten?
    • Wer in Biel geboren ist, wie zum Beispiel ich, stellt sich vor: «Ich bin in Biel geboren, wie Franz Hohler.»
    • Wer in Oerlikon wohnt, stellt sich vor: «Ich wohne in Oerlikon, wie Franz Hohler. Er ist unsere Oerl*Ikone»,
    • Hier aber, wo wir uns heute versammelt haben, wissen alle: «Hohler ist Oltner!»

(Es gibt Dilettanten, die sagen Oltener. (Es sind meist die, welche meinen, Olten sei im Kanton Aargau)

Rhythmisch würde dann nur passen: «Hohlener ist Oltener!»

Und weil Franz nicht Hohlener, sondern Hohler heisst, sagt man eben Oltner.)

 

Franz Hohler begründete Olten als einen genius loci. 

Manche folgten ihm wie Jünger, um hier Ruhm und Lorbeeren zu erlangen:

-       Der junge Alex Capus, Jahrgang 61, aus Frankreich zugezogen, 

-       Pedro Lenz, etwas jünger, Jahrgang 65, aus Langenthal zugezogen, 

-       Mike Müller, noch etwas jünger, Jahrgang 63, zugezogen aus dem Bestattungsamt Leutschenbach,

-       Und am allerjüngsten, geboren 1960, die Oltner Kabaretttage, noch nicht vierzig Jahre alt, Midlife, ohne Crisis.

 Loben wir also heute nicht nur den Jubilaren, loben wir auch seine Stadt, loben wir Olten, das seinem Sohn gerecht wird, ihn mit einer Ausstellung, einem umfangreichen Programm und einem feierlichen Abend würdigt. 

  • Zur Einordnung von FH innerhalb der künstlerischen Berufsgattungen: 

Ist er ein Performance Künstler? 

Ja.

Es gab im Mai 1993, also genau vor 30 Jahren, eine Rede von FH auf dem Bundesplatz vor einer riesigen Menge, die vor der Abstimmung gegen den FA 18 mobilisierte:

Wir haben etwas Zeit und ich möchte die Rede in ihrem vollen Wortlaut wiedergeben. Sie lautete:

 

«Die Regierung sagt: 

Wir brauchen einen neuen Kampfjet.

Das Volk sagt: 

Nein»

Schon hatte er fertig.

Ein Muster für die Länge einer politischen Rede - gepaart mit einem kleinen Schuss Populismus…

Was uns aber auch durch den Kopf geht: Wir wünschten uns heute, die weltpolitische Lage wäre immer noch so einfach wie damals. 

  • Zu einer weiteren Einordnung: Ist FH ein Kabarettist?

 

In einem Interview an SRF zögerte Franz, sich als Kabarettisten bezeichnen zu lassen. Auch dem Interviewer war es nicht ganz wohl bei seiner Frage. 

 Der Begriff hat sich gewandelt. Kabarettistin, Kabarettist wird zunehmend gleichgesetzt mit Comedians, die mit ihren Pointen so lustig sind, dass sie immer als erste selber lachen müssen. 

So merkt ihr Publikum, wann es sich vor Lachen auf die Schenkel zu schlagen hat. 

Dies ist nicht Fran Hohler.

Er entdeckt Humor eher im Alltäglichen. 

Ein absurdes Ereignis, eine ungeschickte Ausdrucksweise sind oft in sich selbst komisch. Sie vom Kontext zu lösen und aus einem anderen Blickwinkel zu zitieren, erwirkt eine etwas leisere, aber umso nachhaltigere Heiterkeit. 

Das sind nicht billige Lacher auf Kosten anderer, sondern das hilft uns, dank Distanz Dinge in einem anderen Licht zu sehen, 

auch ernste Bedrohungen wie Krieg, Umweltzerstörung und vor allem uns selbst.

Ich denke an die Geschichte mit dem Ei, das den Kampf gegen einen Presslufthammer aufnahm und – entgegen unseren Hoffnungen – verlor. Wir ertappen unsere Naivität, weil wir eine David / Goliath Geschichte erwartet haben.

  • Zur ethischen Einordnung: Ist FH Gewissens- oder Verantwortungsethiker? 

  

Es gibt Intellektuelle, seien sie nun Philosophen, Kabarettisten oder Demonstranten, die 

-       von den Emporen der Sternstunde herab oder 

-       von der Strasse, wo sie angeklebt sind, hinauf,

auch all diejenigen verspotten, 

die ihre Visionen zwar teilen, sich dafür sogar einsetzen, 

aber sich auf den politischen Schlachtfeldern nicht durchsetzen können 

(und darunter am meisten leiden). 

FH gehört nicht zu diesen Kritikern. 

«Man kann die Welt mit Worten nicht verändern» gestand er in «Gredig direkt». 

Deshalb sind wir beide trotz meines früheren Berufes Freunde geblieben. 

 

Unsere Freundschaft überdauerte alle politischen Krisen, die ich durchlebte und alle Irrtümer, die ich beging. 

Das ist nicht selbstverständlich. Manche Freundschaft ist damals im Spannungsfeld zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik gerissen. 

  • Zur philosophischen Einordnung: Ist FH ein Moralist und, wenn nicht, was für einer? 

 

Diese Frage ist in den bisherigen Beiträgen zum Geburtstag auffallend oft gestellt worden. 

Franz selbst hat, als er gefragt wurde, etwas verlegen die Achseln gezuckt.

Er weiss, warum.

Moral, Moralismus, Moralin sind negativ besetzt. 

(Ausser im Fussball: 

-       YB: «Dank besserer Moral haben wir gesiegt.»

-       FCZ: «Wir brauchen einfach noch mehr Moral.»)

 

Aber Moral in der gesellschaftlichen Diskussion ist anrüchig.

Wir wissen zwar alle: Mit Gesetzen und Strafen allein kann keine Gesellschaft funktionieren. 

Nur mit Verordnungen und Polizei überleben weder die Menschheit noch die Umwelt. Die Moral ist die geistige Infrastruktur jeder zivilisierten Gesellschaft.

 Dennoch herrscht grosse Abneigung gegenüber Moralpredigern.

Das ist auf ihre fehlende Glaubwürdigkeit zurückzuführen. 

Deswegen stören wir uns 

-       an Klimaaktivisten, die unmittelbar nach der Selbstanklebung nach Bali in den Urlaub fliegen und 

-       an Umweltministern, die an eine Klimakonferenz fliegen, statt den Nachtzug zu nehmen (oder das Velo).

 Eine Moralpredigerin oder ein Moralapostel sind für uns erst glaubwürdig, wenn sie sich selbst als nicht fehlerfrei sehen. 

Von ihnen lassen wir uns Moralkritik gefallen. 

Moralisch glaubwürdig ist nur, wer den Balken im eigenen Auge sucht. 

Darin gründet wohl die grosse Sympathie zu FH, die wir in den letzten zwei Monaten erfahren haben. 

-       Es gibt eine Geschichte von Franz über einen, der konsequent ökologisch «gut» leben wollte. 

Er zieht sich von der Zivilisation sukzessive zurück, lebt schlussendlich nackt auf einem Baum, scheitert und muss sich den ökologischen Widersprüchen ergeben.  

 

Zu verstrickt sind wir in den Privilegien unserer technisierten und globalisierten Gesellschaft, eingeschnürt vom Wohlstand in einem der reichsten Flecken der Welt. 

Kein Klimademonstrant kann seiner Mitverantwortung für den CO2 Verbrauch entkommen. Smartphons und iPads verursachen zusammen einen grösseren Ausstoss als der weltweite Flugverkehr. 

Das soll jetzt eben gerade nicht ein Angriff auf die Glaubwürdigkeit der Klimaproteste sein.

Denn gerade das ist ja die Gefahr: Dass jeder moralische Appell als unglaubwürdig abgetan wird und wir uns in der Empörung über das inkonsequente Verhalten der anderen begnügen. 

Niemand in unseren Breitengraden kann konsequent ökologisch gut leben, nicht in Olten, nicht in Gösgen, nicht in Oerlikon und nicht in Biel. 

Aber wir können uns bemühen, es wenigstens besser zu versuchen

 Franz Hohler versucht es:

-       Alle seine Auftritte erreicht er mit dem öV

(und es sind viele Auftritte: Webseite März, April, Dichtestress in der Agenda). 

-       Fährt kein Auto (mehr). 

Das tun zwar viele, aber sie wollen dann doch heimgefahren werden. Mit FH aber kann man als Autofahrer ruhig eingeladen werden; er nimmt nachher das Tram und du musst nicht über Oerlikon fahren. 

-       Mit dem Zug, in den er alle Musikgeräte mitschleppt: 

Das bedeutet einen grossen Aufwand. 

Vor allem nach der Vorstellung zurück. Da sind die Fahrpläne nicht mehr so dicht. 

Das ist nicht der HB Zürich oder der Eisenbahnknoten Olten. 

Das sind die Bahnhöfe, wo man stundenlang im kalten Wind steht, «wo dr Zug noni abgfahre isch, oder noni isch cho.» (Das Lied Mani Matters entstand, als die beiden in Gümligen auf einen Anschluss nach Bern warteten.)

 

In diesem Jahr feiert auch unsere Bundesverfassung Geburtstag; sie wird 175 Jahre alt und schreibt moralisches Verhalten ausdrücklich vor.

 

  • Deswegen noch eine staatspolitische Einordnung

-       In der Präambel steht: Es ist nur frei, wer seine Freiheit gebraucht. 

FH hat die Kunstfreiheit genutzt und dafür den Literaturpreis des Kantons Zürich 1982 - nicht erhalten. GRATULATION!

-       Weiter hält die BV fest: Jede Person nimmt Verantwortung wahr und trägt nach ihren Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Staat und Gesellschaft bei. 

Dieses Bemühen können wir Franz Hohler ausdrücklich attestieren:

  • Pflegt die kulturelle Vielfalt des Landes und besucht jede Stadt, jedes Dorf, jedes Tal. 
  • Geht in jeden Krachen, kein Forum ist ihm zu klein, keine SAC-Hütte zu abgelegen.
  • Und das in allen Landessprachen: Kann Totenmügerli auf Rätoromanisch

 

Und bei diesem grossen Engagement kommt keine Bitterkeit des alten Mannes auf, der es schon immer wusste. 

Ich kenne da andere Beispiele in meiner allernächsten Umgebung (Auf neue Erkenntnisse wie «Elektroauto sollen auch Abgaben bezahlen» , «Ablasshandel um CO2 Ausstoss ist scheinheilig», «Artenvielfalt» etc wird reagiert mit: «Merken die das jetzt auch schon?», « Das habe ich ja immer gesagt.»), Nein, ich nenne keinen Namen. 

Franz aber wiederholt willig. Er sagt es noch einmal. Unentwegt. Geduldig wie ein gütiger Vater. 

So seine Geschichte des Weltuntergangs. Er hat sie gesungen vor 50 Jahren (Club of Rome). 

Sie wird dieses Jahr von den SJW neu herausgegeben. 

Nein, keine «Zweite verbesserte Auflage». Sie ist wortwörtlich gleich herausgekommen. Nicht einmal die Sprache ist gendergerechter. Nichts von Käferinnen oder Fischinnen.  

Die Geschichte gerafft: 

-       Die Gattung eines kleinen Käfers verschwindet aus der Fauna in Asien, 

-       als Folge auch die Gattung eines Fisches, 

-       als Folge wächst ein schwarzes Insekt, 

-       weitere Folgen: 

  • die Beschaffung des Maises ändert sich, 
  • Quecksilbergehalt steigt, Hühnersterben, Meeresspiegel steigt, Sonnenlicht dringt nicht mehr auf Erde, Klimawandel, Pole schmelzen, Weltuntergang droht. 

 

«Wann wird das sein? 

Wir kratzen uns in den Haaren

In fünfzig oder in hundert Jahren?

Ich habe mich anders besonnen, 

der Weltuntergang hat schon begonnen.»

 

Begonnen hat er vielleicht. Aber erfolgt ist er noch nicht. Die CS ist zwar schon mal untergegangen. Aber die Alternative Bank lebt noch. Wir haben noch Zeit. Es hat sich einiges bewegt. Die Warnungen und Mahnungen von FH haben viele erfasst. Wir hören warnende Stimmen und dramatische Vergleiche von der Klimajugend bis hin zum neuen Klimabundesrat. 

Die Klimajugend skandiert: «Wir sind Franz!»

Der Umweltbundesrat erhebt, wie einst Kennedy in Berlin, warnend den Finger und ruft: 

«Ich bin ein Totenmügerli.» 

  • Aber was ist nun Franz Hohler?

 Von Emanuel Kant stammt der kategorische Prohibitiv: 

«Du sollst nicht einordnen!» 

 Franz gehört nicht in eine Schublade. 

 Franz Hohler ist Franz Hohler ist Franz Hohler.

Er soll es bleiben.