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Nachruf auf André Simonazzi


Zum Tod von André Simonazzi

für Journal 21

Die ersten Fragen zu einer Reaktion auf seinen Tod konnte ich nicht beantworten. Ich gestand: Mir kamen die Tränen. Auch einen Tag nach dem Schock suche ich nach Worten und kann die richtigen nicht finden. 

 Für seinen Wechsel von der Caritas zum UVEK war ich ihm damals schon dankbar. Heute sind es alle, die mit ihm zusammenarbeiteten, im Bundesrat, im Parlament, im Medienhaus, in der Öffentlichkeit.  Ob in einer sozialen Institution, ob im Departement für Infrastrukturen und Umwelt, ob Sprecher des Bundesrates, André Simonazzi lebte die Überzeugung vor: Kommunikation heisst Gemeinsamkeit. 

 In unserem System einer kollektiven Regierung bedeutet Gemeinsamkeit zunächst, dass der Bundesrat eine Einigung suchen und finden soll. Es war immer wieder der Bundesratssprecher Simonazzi, der dem Kollegium aufzeigen musste, wenn in einer vermeintlichen Einigung ein Dissens schlummerte. Er sah öffentliche Reaktionen vorweg und begriff, wenn ein Beschluss nicht zu übermitteln, weil nicht zu erklären war. So verhalf er der Regierung oft zu Konsens, gestaltete also die Arbeit des Bundesrats mit, bevor er den Medien, dem Parlament, den Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das Ergebnis zur weiteren Diskussion übermitteln konnte. Sein Witz, sein Humor, seine Ironie ermöglichten ihm die nötige Distanz zur Arbeit und zur eigenen Rolle und so wurde er trotz seines Einflusses nie überheblich oder besserwisserisch. (Dass er mich trefflich imitiert haben soll, erfahre ich erst jetzt durch die Nachrufe und bereue, dass ich es nie anhören dufte.) 

 Gemeinsamkeit in der Referendumsdemokratie umfasst alle Parteien. André Simonazzi hat kein Mitglied des Bundesrates bevorzugt. Seine Parteizugehörigkeit hat in seiner Arbeit nie eine Rolle gespielt. Dadurch schuf er die Grundlage für gegenseitiges 

Vertrauen. Er selbst hat grössten Wert auf dieses Vertrauen zwischen Regierung und der Öffentlichkeit gelegt. Vehement hat er sich gegen Indiskretionen gewehrt und er hat unter ihnen, wenn sie doch vorkamen, geradezu physisch gelitten. Ein Bundesratssprecher, so lebte es Andrè Simonazzi vor, ist nicht Übersetzer oder Dolmetscher. Er prägt einerseits das Wort der Regierung mit und er versucht auf der anderen Seite im Medienhaus oder im Parlament Herz und Verstand für die Botschaften zu öffnen. Wie oft ist er einem Bundesratsvertreter oder einer Vertreterin, wenn sie im Begriff waren, eine Ungeschicklichkeit zu äussern, rechtzeitig ins Wort gefallen oder hat dieses nachträglich wieder zurechtbiegen können. Bei den Bundesratsreisli blieb er nicht nur verbaler Vermittler, sondern hat auch gleich die Rolle des Bodyguards übernommen, wenn dies bei allzu engen «Begegnungen mit der Bevölkerung» nötig war. Und Bodyguard war er auch kommunikativ: Bei Angriffen auf Mitglieder des Bundesrats wies er übergriffige Medienvertreter mit aller Deutlichkeit in die Schranken, nie verletzend, nie empört, sondern sachlich und bestimmt, eine Kunst, die, wie ich von mir selber weiss, nicht jedes Bundesratsmitglied beherrscht. 

 Kommunikation heisst Gemeinsamkeit. André Simonazzi hat die Gemeinsamkeit in unserem Land wesentlich mitgeprägt. In allen Sprachen unseres Landes gewandt und in all ihren Kulturen zuhause, lebte er Gemeinsamkeit auch über den Röstigraben. Seine integrierende Rolle in unserer Demokratie und die grosse Trauer, dass er uns entrissen wurde, ist Teil einer Gemeinsamkeit, die er mitgeprägt hat.

 

Zürich, 21. Mai 2024