Velonummernblues
Velonummernblues
Das waren noch Zeiten, als wir am ersten Tag des neuen Jahres, frühmorgens, wenn der Polizeiposten geöffnet wurde, eine möglichst niedrige, wenn immer möglich einstellige Zahl auf der Velonummer ergattern wollten. Eine niedrige oder originelle Zahl kostete damals gleich viel wie alle anderen Velonummern auch. Es fand keine Versteigerung statt wie heute bei den Autonummern, wo bereits 300'000 für ZH 24 bezahlt wird. Das war noch nicht die Zeit der entfesselten Ökonomisierung aller Werte, noch nicht die Zeit, in der für virtuelle Gegenstände Millionen bezahlt wurden.
Es war die Zeit, als Ästhetik und Repräsentanz Werte für sich darstellten, Werte, die nicht versilbert, sondern verehrt wurden. So hielten wir dem Veloschild eiserne Treue, so eisern wie dieses Amulett uns bei jedem Wetter und vor jedem Polizisten schützte. Wir montierten den Talisman vorschriftgemäss, vorbildlich zentriert, mit Schraube, Unterlegscheibe und Mutter, wir pflegten, polierten und putzten ihn, auf dass er unsere Fahrräder auch nachts durch reflektierende Lichter erstrahlen liess.
Und wenn das Velo selber noch so verrostet war, so glänzte doch das Nummernschild derart rein und magisch, dass der Blick der Polizei nicht auf das fahruntaugliche Velo gelenkt wurde.
Es war nicht der Rost, der die Velonummer angriff, nein, es war, o tempora o mores, der Zahn der Zeit, der Sittenzerfall. Er begann damit, dass die Schilder, statt wie vorgeschrieben vertikal, provokativ horizontal angebracht wurden (so dass die Polizei den Kopf drehen musste, um die Kennzahl lesen zu können). Später wurden die Nummern gar in die Speichen der Räder geklemmt. Allmählich brach der blanke Anarchismus aus: Es gab Outlaws, die gar ohne Velonummer herumfuhren. Der
Gesetzgeber folgte diesem moralischen Zerfall, indem er sich mit einer blossen Vignette begnügte. Heute gibt es nicht einmal mehr diese. Es herrscht gähnende Leere, ein Nichts, ein nihil. Die Folge:
Namen- und nummernlose Fahrräder hängen in Bäumen, liegen quer über dem Trottoir, verrosten in den Seen einem anonymen Tode entgegen. Wer ein Fahrrad hat, trägt es zu sich ins Schlafzimmer, legt es unter die Bettdecke, damit es nicht geklaut wird, und schläft selber auf dem Teppich. Denn wenn es gestohlen, wird es nicht mehr gefunden. Warum nicht? Weil es keine Velonummern mehr gibt. Bestenfalls hilft ein Chip, der mit dem Handy befreundet ist.
Ist dies das Ende? Ist die Velonummer endgültig erstorben? Wurde sie in den lodernden Flammen der Liberalisierung verbrannt? Nein, noch glüht sie in ihrer Asche und harrt einer Wiedergeburt. Sie wird emporsteigen wie ein Sonnenvogel, der gen Himmel fliegt. Es kommen bessere Zeiten, wo sie, vielleicht durch eine Metamorphose in einen Chip mutiert, ihre früheren Aufgaben wahrnehmen und vervollkommnen wird. Sie wird das Velo gleich selber steuern, antreiben, putzen, flicken und von Bussen bewahren. Doch bis diese wunderbare Wandlung vollzogen sein wird, brauchen wir eine gründliche Aufarbeitung der Geschichte, um aus der Vergangenheit zu lernen.
Der Schlüssel zur Geschichte ist diese Dokumentation.
diese ist einzusehen auf:
www.velonummern.ch