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Flugverkehr – Stiefkind der Politik?


Markus Weber, Schweizer Touristik "Swiss Travel Trade" (Ausgabe Januar 2011): Interview mit Moritz Leuenberger, Präsident der Swiss Luftfahrtstiftung

Seit November 2010 steht Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger an der Spitze der Swiss Luftfahrtstiftung. In einem Gespräch mit der ST erläutert er die Schwerpunkte seiner neuen Aufgabe.

 

Herr Leuenberger: Die Luftfahrtstiftung war der breiten Öffentlichkeit bisher kaum bekannt. Mit ihrer wahl zum Präsidenten der Stiftung hat sich dies schlagartig geändert. Können Sie den Zweck der Stiftung kurz skizzieren?
Moritz Leuenberger:
Die Stiftung hat einen politischen Zweck, nämlich die Marke Swiss gegenüber der Eigentümerin Lufthansa zu erhalten. Sie soll auch darüber wachen, dass keine Flugbewegungen aus Genf und Zürich nach Frankfurt oder München abgezogen werden. Die Schweiz soll als Luftkreuz erhalten bleiben.

 Wurden diese Anliegen beim verkauf der Swiss an die Lufthansa vertraglich festgelegt?
Ja. Das Versprechen wurde vertraglich festgelegt. Ein hundertprozentiger Eigentümer könnte natürlich immer Wege finden, dies zu umgehen.

Welche Schwerpunkte werden Sie als neuer Präsident der Stiftung setzen?
Einerseits klassisch darüber zu wachen, dass die Swiss die Swiss bleibt, dass sie also nicht total in die Lufthansa einverleibt wird. Schweizer Passagiere, aber auch ausländische Reisende, sollen sich in der Schweizerischen Fluggesellschaft wiedererkennen. Auf der anderen Seite haben wir auch eine reziproke Verantwortung. Wir müssen darüber wachen, dass die Swiss gute Rahmenbedingungen hat, damit sie sich entwickeln kann, denn sie muss sich entwickeln. Im Flugverkehr überlebt nur, wer sich entwickelt. Langfristig sind dafür die Voraussetzungen in der Schweiz nicht sehr optimal. Wir haben eine Beschränkung von Deutschland für den Anflugverkehr. Wir haben ein höchst kompliziertes Pistensystem in Zürich, das früher oder später auf eine andere Weise gelöst werden muss. Und da soll die Stiftung ihre politische Kommunikation auch nutzen.

Gibt es für die Stiftung gegenwärtig besondere Herausforderungen?
Nein. Im Moment ist die Aufgabe nicht schwierig. Gegenwärtig sehen wir bei Lufthansa keine Tendenzen, die Swiss zu verschlucken und verschwinden zu lassen. Swiss floriert, sie kauft neue Flugzeuge, bedient neue Linien. Ihre gute wirtschaftliche Situation kommt uns natürlich sehr entgegen.

Welche Erfahrungen und Beziehungen können Sie als ehemaliger Verkehrsminister in die Stiftung einbringen?
Die politische Erfahrung in der Diskussion um den Flugverkehr, und natürlich werde ich mein Beziehungsnetz in Parlament, Parteien und kantonalen Instanzen für die Stiftung einsetzen können.

Das Bevölkerungswachstum in der Schweiz und die Zunahme der individuellen reisetätigkeit werden dazu führen, dass der Flughafen Zürich sehr bald an seine Kapazitätsgrenzen stösst. Die Diskussionen um Anflugregime und infrastruktur werden seit Längerem heftig und leidenschaftlich geführt. ihre Stiftung hat ja auch den Zweck, die entwicklung der Luftverkehrsinfrastruktur fördernd zu begleiten. Wie muss man sich die rolle der Stiftung in der Flughafendiskussion vorstellen?Ich finde es ja sehr interessant, wie die Bürgerinnen und Bürger beim Bahnverkehr bereit sind, Investitionen zu tätigen und sehr viel dafür zu bezahlen. Sie sind auch bereit, vom Bahnverkehr Lärm zu akzeptieren, die Linien durch Kulturland und Agglomerationen leiten zu lassen und für den grossen Wert der Bahnmobilität Opfer zu bringen. Das Verhältnis der Bevölkerung und der Stimmbürger gegenüber der Bahn ist ungebrochen. Die Bahn wird geliebt.
Das Gegenteil stelle ich beim Flugverkehr fest. Alle brauchen zwar den Flugverkehr. Jeder fliegt – geschäftlich und privat. Auch sollen alle Güter dieser Erde zu jedem Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Seien es frische Fische aus dem Ozean, Kleider aus dem Fer- nen Osten. Aber: der Fluglärm stört. Diesen Konnex, dass jede Infrastruktur nicht nur Vorteile, sondern auch Eingriffe mit sich bringt, wollen beim Flugverkehr viele nicht wahrhaben. Diesen Zusammenhang den Menschen näher zu bringen, könnte eine Aufgabe der Stiftung sein. Bis jetzt ist die Stiftung in diesem Bereich allerdings kaum in Erscheinung getreten. Und auch ich werde nicht ab morgen  ein riesiges Kommunikations-Tam-tam lostreten.

Sind Sie persönlich ebenfalls vom Fluglärm betroffen?
Ja, ich höre um sechs Uhr die ersten Flugzeuge. Aber das stört mich nicht. Der Autoverkehr ist lauter.

Die Swiss sieht in der entwicklung des Flughafens Zürich eine entscheidende Rolle in der Bewältigung des wachsenden Passagieraufkommens. Sie lehnt den Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) rundum ab, fordert eine Parallelpiste, Pistenverlängerungen, Schnellabrollwege und Südabflüge geradeaus zur verbesserung der Kapazität. Wie beurteilen Sie diese Maximalforderungen der Swiss?
Es ist verständlich, dass Swiss ihre Bedürfnisse formuliert. Man muss sehen: Unsere politischen Prozesse dauern unglaublich lang. Da muss man natürlich rechtzeitig die Weichen stellen. Nur: Mit dem jetzigen System am Flughafen Zürich wird es auf absehbare Zeit keine Schwierigkeiten geben. Wir haben noch über Jahre genügend Kapazität. Wir sind gegenwärtig bei 267'000 Flugbewegungen, und bis 320'000 Bewegungen können mit dem aktuellen Konzept problemlos bewältigt werden.

Trotzdem: Die Swiss drängt, entschieden wird aber woanders ...
Der Flugverkehr und die Flughäfen Genf und Zürich sind von nationaler Bedeutung. Es sind zwar nationale Flughäfen, doch stimmen die Kantone darüber ab. Bei Starkstrom-, Gasleitungen und Autobahnen entscheidet dagegen der Bund. Das sind nationale Infrastrukturen. Eigentlich müssten die Kompetenzen bei den Flughäfen neu geregelt werden. Das entspricht auch der Haltung der Eidgenossenschaft. Es ist aber anzunehmen, dass sich die Kantone gegen eine solche Neudefinition mit Händen und Füssen wehren würden. Deshalb sehe ich nur ein etappenweises Vorgehen. Wichtig ist jetzt, dass die Kantone Richtpläne erlassen, die mit den Vorstellungen des Bundes kompatibel sind.

Wer könnte die initiative zur Neudefinition der Kompetenzen ergreifen?
Der Bund. Er könnte zum Beispiel ein Betriebsreglement selber aktiv erlassen, statt nur Vorschläge zu genehmigen.

Werden Sie sich als Präsident der Swiss Luftfahrtstiftung in der Flughafendiskussion nun vermehrt um das verständnis für die Swiss werben?
Das ist meine Aufgabe. Ich stelle fest, dass eine emotionale Bindung zum Flughafen fehlt. Die Bahnen dagegen haben die Menschen gern und sie sind stolz darauf. Im Flugverkehr kommt Emotionalität nur gegenüber der Swiss auf. Wir hören immer wieder, dass das Erblicken des Schweizer Kreuzes auf der Heckflosse der Swiss-Flugzeuge auf ausländischen Flughäfen für Heimatgefühle sorge. Der einzige Ansatz einer stärkeren emotionalen Bindung zum Flugverkehr führt also über die Swiss.

Wie ist es überhaupt möglich, dass eine deutsche Fluggesellschaft mit Schweizer Logo fliegen darf?
Das wurde vertraglich so vereinbart.

Finden Sie den entscheid heute richtig, dass die Swiss damals an die Lufthansa verkauft wurde?
Den Entscheid hinterfrage ich heute nicht mehr. Ich hatte damals zwar zuerst eine andere Meinung. Auf jeden Fall geht es der Swiss heute sehr gut. Die Synergien mit der Lufthansa werden zum Wohl der Swiss und ihrer Passagiere genutzt. Die interne Konkurrenz im Flugverkehr zwischen Tochter und Mutter wirkt im wahrsten Sinne des Wortes beflügelnd.

Aus nostalgischer Sicht kann man dennoch bedauern, dass die Schweiz keine eigene nationale Airline mehr hat, auch wenn die wirtschaftlichen Vorteile offensichtlich sind.
Sie hat eine, aber sie besitzt sie nicht. Wenn ich rückwirkend etwas bedaure, dann die verfehlte Hunterstrategie, die zum Grounding der Swissair geführt hat. Ich hatte damals grosse Zweifel, ob der Staat die Fluggesellschaft tatsächlich retten sollte. Aber als ich dann realisierte, was alles am Flugverkehr hängt, wie viele Firmen und Arbeitsplätze direkt und indirekt von der Swissair abhängig waren, sah ich, wie nötig der Entscheid war.

CEO Hohmeister hat in diesem Zusammenhang verschiedentlich verlauten lassen, dass die volkswirtschaftliche Bedeutung von Swiss und Flughafen in der Lärmdiskussion zu wenig gewichtet würde. Teilen Sie diese Ansicht?
Ohne den Flugverkehr wäre die wirtschaftliche Prosperität unseres Landes nie so weit gediehen. Auch viele internationale Unternehmen haben sich wegen der Flughäfen Genf und Zürich bei uns angesiedelt. Auch der Tourismus, der eine der wichtigsten Branchen der Schweiz darstellt, profitiert von guten Flugverbindungen. Wir müssen tatsächlich darüber wachen, dass der Flugverkehr nicht zum Stiefkind der Verkehrspolitik wird. Es stehen wichtige Abstimmungen an. Der Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) wird ebenfalls bald festgelegt werden. In Zürich kommt es zu Volksabstimmungen. Die Stiftung kann sich da einbringen.

Was schätzen Sie persönlich am Flughafen Zürich?
Ich halte Zürich für einen guten Flughafen. Man ist schnell drin und auch wieder schnell draussen (lacht).

Wie reisen Sie am liebsten?
Ich reise nicht besonders oft mit dem Flugzeug. Auf Strecken in Europa nehme ich gerne den Zug. Dort liest und arbeitet es sich besser. Im Flugzeug wird man ständig freundlich bedient, muss Sicherheitsgurte an- und abziehen, i-Pad ausschalten, Tischlein auf- und abklappen, sagen, was man essen will und dann ebenso oft und ebenso freundlich Danke sagen. Die Sicherheitskontrollen vor den Flügen empfinde ich oft als lästig und zum Teil unwürdig. Zahnpasta und Rasierschaum kann man gar nicht mehr ins Flugzeug nehmen. Nach einer Zugsreise kann man sich also immerhin noch rasieren. Natürlich: Für Reisen über eine Distanz von mehr als 500 km ziehe ich auch das Flugzeug vor.

Brauchen Sie das reisebüro, um Ihre reisen zu organisieren? Haben Sie schon im internet reisen gebucht?
Ein Reisebüro? Ich bin in einer Übergangsphase. Als Bundesrat musste ich bei Flugreisen nie denken. Bundesräte und Babys werden ja super betreut. Ich landete jedenfalls immer dort, wo ich hin musste, ohne selber etwas dafür zu tun. Jetzt wird das anders sein. Jetzt muss ich wieder selber organisieren. Ich traue mir dies aber zu, da ich rechtzeitig aus dem Bundesrat zurückgetreten bin. Das Internet brauche ich natürlich. Und der Reisebranche empfehle ich, das Internet noch besser zu nutzen. Das Internet können wir ja wegen den Reisebüros nicht verbieten. Strukturkonservatismus wäre fehl am Platz.

Haben Sie auch schlimme erfahrungen im Zusammenhang mit dem Fliegen gemacht?
Wenn Sie als Verkehrsminister an den Unglücksort eines Flugzeugabsturzes gerufen werden, ist dies eine ganz furchtbare Erfahrung. Der Blick auf zertrümmerte Maschinen, aus denen verkohlte Leichen geborgen wer-den, ist niemandem zu wünschen.

Welche Visionen haben Sie für den Flug verkehr?
Flugzeuge, die wie dasjenige von Piccard mit der Sonne betrieben werden und kein CO2 ausstossen, die so leise wie ein Segelflieger sind und die alle in einer Welt ohne Terror verkehren, sodass es keine Sicherheitskontrollen braucht.

Herr Leuenberger, wir danken ihnen für dieses Gespräch.