Der Star aus Versehen: Charles Lewinsky über ML
Von Charles Lewinsky
Er tritt nicht auf, sondern schleicht sich auf die Bühne, die Körperhaltung so verlegen, als ob er in seinem Leben noch nie vor Publikum gestanden hätte. ,«Entschuldigen Sie», scheint er mit jeder Bewegung zu sagen, «ich wollte überhaupt nicht ins Rampenlicht. Ich stand nur ganz zufällig in der Kulisse, aber dann hat mich jemand rausgeschubst.» (Muss wohl Hanna Scheuring gewesen sein.) Wenn man ihn nicht kennte, würde man denken: Für wen springt dieser Typ wohl ein? Wie soll so ein Herr Schüüch ein ganzes Programm gestalten?
Natürlich ist diese aus Versehen vor die Scheinwerfer gestolperte Bühnenfigur auch eine sehr bewusst gewählte Masche. Und wie bei allen wirksamen Bühnenfiguren steckt eine Menge vom wirklichen Charakter ihres Darstellers darin. Auch der private Moritz Leuenberger steht nicht gern im Mittelpunkt. Ausser immer. Und gleichzeitig doch nicht.
Wie soll man den Präsentator der Bernhard-Matinee also beschreiben? «Schüchterne Rampensau» klingt so unhöflich. Versuchen wir es so: Es gibt Moderatoren, bei denen hat man den Eindruck, dass sie jedem Zuschauer einzeln in die Augen schauen. Bei ihm ist das umgekehrt: Er scheint jedem Blick einzeln auszuweichen. Lässt keine Gelegenheit zur Verlegenheit aus und setzt die eigene Ungeschicklichkeit äusserst geschickt ein. Man würde sich nicht wundern, wenn ihm das Mikrofon runterfiele. Aber was er dann, wie aus Versehen, fallen lässt, sind perfekt getimte, handgeschliffene, mit einer ganz, ganz kleinen Prise Zynismus vergiftete Pointen.
Wenn die Leute dann lachen, scheint er sich unter dem Applaus förmlich zu winden - «tut mir wirklich leid, dass mir da etwas Komisches herausgerutscht ist» - und gleichzeitig merkt man ihm die Freude darüber an, dass die kleine Bombe, die er am Schreibtisch liebevoll gebastelt hat, mit einem so hübschem Knall explodiert ist. Landet gleich die nächste Pointe und steht dabei so verlegen da, als ob er sich am liebsten hinter dem Gästesessel verkriechen würde. Mit jeder Geste scheint er zu sagen: «Ich will das eigentlich gar nicht, aber wenn ich nun schon mal da bin und Sie auch, werde ich eben versuchen, Sie zu unterhalten.»
Und dann unterhält er seine Zuschauer, und zwar auf eine Art, die höchst selten ist: Man lacht bei ihm nicht, weil man denkt, dass das in einem Unterhaltungsprogramm wohl angebracht sei, sondern man lacht bei ihm, weil man denkt. Punkt. Denn er beherrscht die rare Kunst, die Leute gleichzeitig zum Denken und zum Lachen zu bringen.
Und ist gleichzeitig nicht einfach Solist, sondern auch ein glänzender Gastgeber. Weil er sich für seine Gäste tatsächlich interessiert und ihnen deshalb nicht nur die Fragen stellt, die sie schon tausendmal haben beantworten müssen. Man ist gern bei ihm zu Gast - auf der Bühne und im Zuschauerraum.
Lieber Moritz, in deiner Zeit als Bundesrat hat man dir immer wieder vorgeworfen, du seist ein heimlicher Entertainer. Das stimmt aber nicht. Du bist ein unheimlicher Entertainer - und zwar ein unheimlich guter.
Charles Lewinsky