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Muscionico in NZZ über die Matinee und ML


Die letzte Ausfahrt heisst Humor

Moritz Leuenberger zeigt, was er noch besser kann als politisieren

Daniele Muscionico

Über tausend Menschen haben Moritz Leuenberger bei seinem Bad in der Menge zugesehen und zugehört. Letzten Sonntag war das, und der Saal war menschenleer. Denn während der Alt-Bundesrat vor zwei Kameramännern mit rhetorischer Schlagkraft seine wohlkalkulierte Hilflosigkeit inszenierte – was seine Worte verschwiegen, sagte sein Körper –, bissen seine Fans zu Hause in den Sonntagszopf. Als Live-Stream aus dem Zürcher Bernhard-Theater unterhielt sich Leuenberger mit einem Bühnenkollegen, der wie er ein Doppelleben führt: dem Arzt und Comedian Fabian Unteregger.

Er hat es also geschafft. Dem ehemaligen Magistraten ist geglückt, was ihm andere Bühnentiere, im künstlerischen Lockdown aus ihren Häusern verbannt, neiden werden: Er hat im «Theater mit eigenem Opernhaus» – das Bernhard-Theater ist Teil des Opernhauskomplexes – eine künstlerische Heimat, die ihm auch in der Krise den Auftritt möglich macht. Eine Show ohne Publikum freilich, es gibt ja Vorschriften. Doch wer ein Künstler ist – und ein begnadeter Prediger zudem –, der kann sich seine Sonntagsgemeinde imaginieren.

Unerwarteter Erfolg

Und das war kein Anlass wie andere aus der Reihe «Wir spielen für Sie von überall», bei dem die Künstler ihr bürgerliches Dasein vorführen und im Trainingsanzug aus der Wohnküche Rilke vorlesen. Bis auf die Opulenz des Blumenstrausses war im Saal alles wie immer – die über 400 Plätze allerdings waren auf 120, zudem leere, reduziert –, und Hanna Scheuring begrüsste die Abwesenden mit dem warmen Gestus der Pfarrhelferin, die jedes einzelne ihrer Schäfchen, eingesperrt im vorsorgenden Freiheitsentzug, persönlich zu kennen scheint.

Fünf Jahre Bernhard-Matinee, moderiert von Moritz Leuenberger, das Format ist eine Erfolgsgeschichte: Der Saal ist stets ausverkauft, es gibt Wartelisten – für das Publikum sowie für die Talkgäste –, ein Ende der Show ist nicht abzusehen. Und dieses Mal entdeckte man nun am Bildschirm den Clou der Sache: Moritz Leuenberger hat die Gabe, seine Ironie, die Verve und den Tick Besserwisserei, die ihn ausmachen, just dann umzulenken, wenn ein Konflikt droht. Letzte Ausfahrt Humor.

Er ist der Entertainer, der das Kollegialitätsprinzip als Prinzip seiner darstellerischen Haltung versteht. Das ist zwar künstlerisch nicht sonderlich ergiebig, doch es ist nachvollziehbar. Man wird den inneren Bundesrat wohl nicht ganz so leicht los wie das Amt selber.

Nur Süsses für die Gäste

Moritz Leuenberger als Talkmaster ist das Antidot zu Roger Schawinski. Rampentiere sind sie beide, und beide wollen brillieren. Doch wo der Ältere die amerikanisch aggressive Tonlage pflegt, seine Gäste in einem argumentativen Catch-as-catch-can zu Boden ringt – und im Grunde ein Naturschauspiel roher Kräfte inszeniert –, wählt der Jüngere das Gegengift: Er arbeitet im Bewusstsein des Ästheten dem Kunstschönen zu. Leuenberger sucht die schöne Form und erlaubt sich in dieser Haltung keine Formfehler. Schawinski hingegen sprengt alles, was nach Form und Haltung und nach harmonischer Vereinbarung riecht.

Dem Auftritt von Roger Schawinski ist ein gerüttelt Mass an Selbstdarstellung nicht abzusprechen. Und seinem Kollegen? Es ist bei ihm ähnlich, wenn auch nur indirekt. Leuenbergers Alterskarriere als Talkmaster und öffentlicher Selbstironiker setzt auf die Unverbindlichkeit des Humors, mit dem er sich über alle Parteien – endlich – Freunde macht.

Die Aufzeichnung der Bernhard-Matinee ist bis auf weiteres auf der Website des Theaters zu sehen.

Aus dem NZZ-E-Paper vom 20.05.2020